Die Welt-Geschichte umarmen?

In der Kategorie „Spuren“ möchte ich Erlebnisse oder Begegnungen schildern, die mich maßgeblich beeinflusst haben. Spuren, denen ich gefolgt bin oder die mich nicht mehr losgelassen haben und die anderen vielleicht auch eine wertvolle Inspiration sein können.

Vor gut zwei Jahren bin ich über ein Buch gestolpert von Ursula Seghezzi mit dem Titel „Macht Geschichte Sinn“. Darin fand ich einen Abriss der europäischen Geschichte, meiner Geschichte, der Geschichte meiner Vorfahren. Das letzte Kapitel hat mich magisch angezogen. Darin fand ich folgendes Zitat, dessen Worte und erfrischend neue Perspektive mich seitdem begleiten, herausfordern und auch aufatmen lassen:

„Die Geschichte, wie sie geworden ist, will also nicht ausgehalten werden, sie will innen gehalten werden. Gehalten, Angenommen. Jenseits von Gut und Böse geliebt werden. Bedingungslos. Alles Gegensätzliche, Entgleiste, Verseuchte, und alles Gelungene und Freudvolle will gleichermaßen innig gehalten werden. Geschichte ist nichts außerhalb von uns. Wir sind all jene Menschen, die vor uns da waren. In uns stecken die matriarchalen Eingeborenen, die Keltinnen, Germanen, Alemanninen, Römer, die Erdmänner und -frauen, die Weißen Frauen, die Könige, Inquisitoren, die gutgläubigen und bösartigen Hexen, die Diktatoren, die Geschichtenerzählerinnen, Pioniere und auch die großen Erfinderinnen. In uns steckt die ganze Geschichte von Krieg und Liebe. Indem wir diese Geschichte annehmen, wird es uns möglich, auch die heute Realität anzunehmen. Die heutige Welt braucht diese Annahme dringend. Sie braucht eine erwachsene, bewusste Hinwendung und Liebe, bestehend aus einem bedingungslosen Ja zum So-Gewordenen. Aus dem Erinnern wird dann plötzlich ein er-innern, eine Innigkeit mit uns, mit unserer Gesschichte, unserer Gegenwart und unserer Zukunft.“ 

Ursula Seghezzi, „Macht Geschichte Sinn“

Diese Worte waren selbst für meinen sehr flexiblen Geist doch eine recht Herausforderung. Ich liebe Perspektivwechsel und die innerliche Akrobatik, die manchmal von Nöten ist, herausfordernde Perspektiven sehr unterschiedlicher Menschen nachzuvollziehen oder vielmehr nachzufühlen. Aber auf die Idee, die Welt, die Geschichte und den Weltzustand innig zu umarmen bin ich noch nie gekommen. Und selbst jetzt, zwei Jahre später empfinde ich es noch immer als Herausforderung bei der täglich sich erneuernden Flut von Schreckensnachrichten, die Geschichte und das Gewordene zu umarmen und anzunehmen, so wie jeder Mensch sich wünscht mit all seinen Fehlern und Schwächen sich angenommen zu fühlen. Aber bislang habe ich noch keinen besseren Weg gefunden, nichts was mich mehr überzeugt hätte in Notwendigkeit. Also übe ich weiter, Tag für Tag, Nachricht für Nachricht.